Mittwoch, 3. August 2016

Die Befreiung vom Wachstumszwang

Abschnitt 2.3 von "Vorschlag für eine Transformation vom neoliberalen Kapitalismus zur zukunftsfähigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung"

Der Wachstumszwang ist beim Kapitalismus systembedingt. Seit Adam Smith gilt das Kapital als der dritte und sogar wichtigste Produktionsfaktor, neben den Produktionsfaktoren Arbeit und natürliche Ressourcen. Dies führte zu der Erwartungshaltung, dass für das eingesetzte Kapital nicht nur ein marktüblicher Zins bezahlt wird, sondern es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass mit und für das Kapital zusätzlich ein möglichst hoher Gewinn erwirtschaftet wird. Da aber der Besitz von Kapital nicht breit gestreut sondern hoch konzentriert ist, wird das Kapitaleinkommen in den meisten Fällen nicht für die Sicherung des Lebensunterhalts verwendet, sondern die Kapitaleinkommen führen zu einer Kapitalakkumulation. Für das dadurch zusätzlich entstehende Kapital werden weitere Anlagemöglichkeiten benötigt, mit denen zusätzliche Kapitalrenditen erwirtschaftet werden können. Zusätzliche Renditen für das Kapital können aber nur entstehen, wenn die Wirtschaft wächst. Theoretisch wäre es auch noch denkbar, dass die Lohneinkommen zugunsten der zusätzlichen Kapitaleinkommen sinken. Das hat es jüngst sogar schon gegeben, nämlich von 2000 bis 2009, aber auf Dauer ist das natürlich völlig indiskutabel.
Ewiges allgemeines wirtschaftliches Wachstum kann es aber in einer begrenzten, und bereits sehr stark ausgebeuteten Welt auch nicht geben.
Wir benötigen deshalb eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die ohne Wachstum stabil ist!

Damit dies eintritt, gibt es zwei Lösungsansätze:
  1. Das Kapital wird nicht mehr „entlohnt“. Das könnte dadurch erreicht werden, in dem das Verbot der Zinsnahme wieder eingeführt wird, was der christlichen und der islamischen Wertelehre entspricht und in der logischen Konsequenz darf dann auch für Kapital, das in einem Betrieb investiert wird, keine Gewinnausschüttung erfolgen.
Diese ganz fundamentalistische Variante halte ich nicht für gerecht, denn wenn das verliehene Geld durch eine Inflation an Kaufkraft verliert, müsste die Person, die Geld ausleiht, sogar Verluste hinnehmen, und die Personen, die Geldvermögen in Unternehmen investieren, tragen ein Verlustrisiko, was ebenfalls einen Risikoaufschlag rechtfertigt. Konkret schlage ich folgende Lösung vor:

a) Habenzinsen entsprechen der Inflationsrate, das bedeutet, dass der Realzins bei null liegt.
b) Kreditzinsen entsprechen der Inflationsrate, plus Bearbeitungskosten und der Kosten für die Kreditausfallversicherung. Das Kapital von Direktinvestoren, die nur mit dem eingesetzten Kapital haften, soll mit den gleichen Restriktionen „entlohnt“ werden.
c) Für Eigenkapital, das UnternehmerInnen in ihren eigenen Betrieb investieren und mit ihrem gesamten Vermögen haften, ist ein etwas höherer Risikoaufschlag angemessen; der Betrag ist in einem gesellschaftlichen Konsensverfahren zu bestimmen.

Kapitalerlöse, die diese Werte übersteigen, sind durch eine progressive Besteuerung zu belasten.
  1. Eine zweite (denkbare aber eher theoretische) Lösung ist die ganz breite Streuung der Vermögen. Dann würden Kapitaleinkommen nicht (nur) zur Akkumulation genutzt werden, sondern sie würden auch für die Bezahlung der laufenden Kosten für den Lebensunterhalt verwendet. Wenn dann ein Teil der Lohn- und Kapitaleinkommen auch zur Steigerung der Produktivität der Arbeit verwendet würde, könnte eine Reduzierung der Arbeitseinkommen, z.B. wegen einer Reduzierung der Arbeitszeit, hingenommen werden, da dieser Verlust durch ein höheres Kapitaleinkommen ausgeglichen würde. Wie oben schon erwähnt ist dieser Lösungsansatz theoretischer Natur, da es zumindest vorläufig nicht möglich sein wird, diese Lösungsvariante zu verwirklichen. Dieser Lösungsansatz wurde hier dennoch aufgeführt, um die Wirkung der Kapitalentlohnung besser zu verdeutlichen.
Der erste Lösungsansatz, die Beschneidung der Kapitalgewinne, ist natürlich auch kein Selbstläufer, denn die Kapitalbesitzer werden ihren ganzen Einfluss dazu verwenden, dass diese Veränderung nicht verwirklicht wird. Ob sie mit dieser Abwehrstrategie erfolgreich sein werden oder nicht, wird davon abhängen, ob die Bevölkerung dem Rat von Papst Franziskus folgt. Er schreibt in seiner Enzyklika Laudato si im Absatz 169: „Da sich das Recht aufgrund der Korruption manchmal als ungenügend erweist, ist eine politische Entscheidung auf Druck der Bevölkerung erforderlich.“

Die Beschneidung des Gewinns aus Kapital ist nicht nur erforderlich, um den Wachstumszwang zu beseitigen, diese Maßnahme ist auch in höchstem Maße gerecht, denn alles erwirtschaftete Kapital entsteht durch den Einsatz der beiden Produktionsfaktoren Arbeit und natürliche Ressourcen.
Eine Entlohnung des Kapitals ist deshalb auch eine „Belohnung“ für den Verbrauch der natürlichen Ressourcen, was ein fundamentaler Fehler ist, denn die Ressourcen sind begrenzt und auf ihre Nutzung haben alle Menschen, auch die zukünftig lebenden, das gleiche Anrecht, dann dürfen sie nicht zur Gewinnerwirtschaftung privatisiert werden.


Diese grundsätzliche Veränderung bedeutet die Überwindung des kapitalistischen Paradigmas, sie ist eine Voraussetzung für die solidarische, zukunftsfähige Gesellschaft!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen