Freitag, 26. August 2016

Produktionsverlagerung

Mein Freund erzählte mir gestern, er habe ein Medikament gegen Schmerzen und Rheumabeschwerden hergestellt.

Seine Frau habe ihm am Morgen gesagt, dass sie den letzten Teelöffel dieser Substanz aufgebraucht habe, weil ihr alle Glieder wehgetan hätten als sei sie mit der Dampfwalze überfahren worden. Und, hat es geholfen? fragte ich. Ja, die Schmerzen wären sofort weggewesen und sie hätte ruhig weitergeschlafen.

Er habe seit längerer Zeit einen Ansatz für dieses rein pflanzliche Medikament gemacht. Die kleine deutsche Firma, die es bisher herstellte, sei von einem global agierenden deutschen Pharmakonzern aufgekauft worden. Dieser habe das Medikament vom Markt genommen. Unklar sei, ob er mit dieser Maßnahme den Absatz seiner rein synthetischen Schmerzmittel steigern wolle. Vom Apotheker sei zu erfahren gewesen, dass der Konzern zunächst eine gesicherte Rohstoffbasis für das Mittel schaffen müsse.

Uraltes frei zugängliches Wissen der Volksmedizin diente meinem Freund als Basis für die Herstellung und Nachempfingung des Mittels. Er ist kein Pharmazeut, aber er hat den Zugang zu dem Wissen über die deutsche Wikipedia gefunden. Die Pflanzen seien in der Almende frei verfügbar, z.B. an der Elbe. Es erfordere nur einfache Prozessschritte, um das Mittel herzustellen. Er habe die alkoholischen Auszüge aus Teilen verschiedener Pflanzen im Frühjahr angesetzt.

So sei es ihm leicht möglich gewesen, zu seiner Frau zu sagen: "Gut, da gieße ich Dir heute neue Medizin ab für den Fall, Du bekommst wieder Schmerzen."

Diese Geschichte hebe ich jetzt mal auf die hohe Ebene gesellschaftlicher Theorien und Bilder. Was tatsächlich passierte und was er tat, hat mein Freund in eine Erzählung, ein Abbild des Geschehenen gegossen. Ich versuche, diese Erzählung vom Realen in rein ideelle Konstruktionen einzubauen, die in meinem Gehirn bereits vorhanden sind - das Reale ins Gedankliche zu transformieren.

Es ist wahrscheinlich, dass der Pharmakonzern mit der Rendite nicht zufrieden ist, die das Mittel bei jetziger Herstellungsweise abwirft. Er muss seine Anteilseigner, seine Finanzinvestoren zufrieden stellen. Dazu muss er im Vergleich zu dem kleinen Unternehmen, das die Substanz bisher aus der Natur gewann, den Gewinn pro verkauftem Fläschchen erhöhen. Dazu kann er die Produktionsmenge erhöhen. Je größer die Losgröße, desto preiswerter lässt sich die Flasche herstellen. Gleichzeitig muss er die Werbeanstrengungen erhöhen, um den Absatz zu steigern, das kostet Geld. Er kann billigere Produzenten der Ausgangsstoffe suchen, er kann Teile der Ausgangsstoffe durch billigere synthetische ersetzen. Dabei wird er seine Macht auf internationalen Rohstoffmärkten einsetzen. Er kann die Darreichungsform ändern, die kostengünstiger und schneller zu handhaben ist - statt Tropfen Filmtabletten - schnell mal eine zwischendurch. Er kann auch die Zeit für einen Pflanzenauszug durch geänderte Prozessbedingungen verkürzen. Er wird die Produktion stärker automatisieren und er wird versuchen, billigere Arbeitskraft für die Herstellung und den Vertrieb einzukaufen. Dies kann zu mehr Gewinn und zur Befriedigung der Rendite-Forderungen der Anteilseigner führen, aber es kann auch misslingen.

Mein Freund ist als Konsument aus diesem Spiel heraus und auf der sicheren Seite. Er sagt, er habe so viel hergestellt, dass es für ihn und seine Frau wahrscheinlich bis ans Lebensende reicht.

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